– Exposee / Einleitung

Die Veröffentlichung meiner politischen Erzählung 1989 Führergeburtstag hat eine Vielzahl von Reaktionen ausgelöst. Die reichten von Unverständnis bis Empörung, von Interesse an der ungewohnten Herangehensweise an das Thema unserer – nicht nur -nationalsozialistischen Vergangenheit bis hin zu der tiefen moralischen Ablehnung meiner Art der Historisierung der Herrschaft Hitlers. Noch bevor 1989 Führergeburtstag der Öffentlichkeit zugänglich wurde, habe ich mich selbst gefragt, wie ich es als Autor empfinden würde, falls man mir mehr als nur einen Fehlgriff im Ton, in der Wahl des literarischen Instrumentes zur Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus vorwerfen würde. Ich stellte mir selbstverständlich auch die Frage danach, wie ich wohl persönlich, psychisch auf die durchaus denkbare Anschuldigung einer faschistoiden Gedankenwelt, oder doch zumindest eines im Unterbewusstsein vorhandenen, unreflektierten Umgangs den Faszination auslösenden Momenten des Nationalsozialismus reagieren würde.

Der Essay „Warum 1989 Führergeburtstag?“ ist bisher nicht veröffentlicht.

Falls Sie als Verleger Interesse haben sollten, bitte ich um Kontaktaufnahme über die Homepage www.romansuche.de oder über meine E-Mail-Adresse magnus@dellwig-ob.de.Ich würde mich freuen.

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Exposee

Entscheidend für mein Selbstverständnis, mein Selbstbewusstsein in Bezug auf die beabsichtigte gesellschaftliche Wirkung von 1989 Führergeburtstag ist und bleibt die Epochenwende von 1989, weshalb sie eben auch im Titel steckt. Generationen, die die vermeintliche Unerschütterlichkeit der Herrschaft Stalins und seiner Enkel erleben mussten, wurden völlig unvermutet Zeitzeugen der friedlichen Auflösung einer Weltmacht und einer auf einer sozialen Ideologie begründeten Herrschaft. Dieses Moment der Überraschung für die Zeitzeugen tauchte die Epoche des Kalten Krieges in ein neues Licht des Verständnisses von dem, wie sich der real existierende Sozialismus über Jahrzehnte schleichend, ein wenig diskontinuierlich entwickelt hatte. Von der DDR bis zur UdSSR entzogen die Regierenden sich selbst die Legitimation und die materiellenGrundlagen ihrer Macht, weil sie es im ersten Schritt der Chruschtschow und Breschnjew-Ära nicht vermochten, den Anschluss an den Westen zu finden. Im zweiten Schritt aber waren sie bemüht, das Defizit an Wohlstand, welches die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung produzierte, durch Anleihen im Westen, durch Anleihen bei der technologischen Innovationskraft der eigenen Produktionsgüterindustrien zu kompensieren. Dieses Beschwichtigen der entmündigten Massen durch Konsum auf Pump, der dann doch nicht mit dem Westen Schritt hielt,stürzte die Systeme in jenem Moment in die Krise, als die monokratische Macht der Zentrale in Moskau zerbrach. Dabei trug die Politik der Zentrale unter Michael Gorbatschow nur noch zur Beschleunigung der Erosion bei, weil sie den Primat auf politische Reformen legte. – Das stand durchaus in der guten Tradition der Zugehörigkeit Russlands zum westlichen Humanismus. Es war indes vollständig ungeeignet, die Partizipations- und Demokratie-Defizite der Menschen in Osteuropa und ihre Abkehr von Idealen durch die frustrierende Praxis selbstherrlich-unbelehrbarer Einheitsparteien so lange abzufedern, bis das Greifen sozialer und ökonomischer Reformen neuen Mut, neue Hoffnung auf die Chance eines humanen Sozialismus gegeben hätten.

Was bedeuten nun Angriffe auf den Autor vor dem Hintergrund dieser Beurteilung des Epochenjahres 1989, damit aber der gesamten Nachkriegszeit seit 1945? Der als Anschuldigung vorgetragene Begriff der Historisierung zielt letztlich darauf ab, die Barbarei der nationalsozialistischen Herrschaft sei historisch einzigartig. – Das stimmt. Dem mag der Autor gar nicht widersprechen. Nur in einem mag er der moralisierenden Argumentation etablierter bundesdeutscherpolitical correctness tatsächlich nicht zu folgen: Die Einzigartig der Dimension und der ideologischen Grundlagen von Hitlers Verbrechens-Maschinerie im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wie gegen das europäische Judentum ist nicht gleich zu setzen mit einer Unmöglichkeit, historische Parallelen zu ziehen. Dabei geht es um die Parallelen zweier Gesellschaftssysteme, die bei im Inneren auf totale Machtentfaltung setzten, die beide ihren Kulminationspunkt in den persönlichen, und damit denWillkür-Entscheidungen eines einzigen Diktators, eines einzelnen Herrschers, eines einzelnen Menschen fanden. – Nur deshalb habe ich den Versuch gewagt, der Frage nachzugehen, was die Erfahrung der realen Geschichte von 1989 für die Fiktion einer nationalsozialistischen Geschichte des Jahres 1989 bedeuten könnte. Es geht mir natürlich nicht darum, welche Konsequenz diese Parallel bedeuten müssen, denn Geschichte ist und bleibt offen! Das gilt für mich nicht allein in bezug auf meine eigene Fiktion, sonder auch für deren eigene – unmögliche – Verbindlichkeit.

So möchte ich für mich einzig und allein beanspruchen, einen intellektuell wie politisch – und nach meiner eigenen, nicht konsensfähigen Einschätzung sogar moralisch – legitimen, nämlich redlichen Versuch unternommen zu haben, die Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts wachzurütteln, ihnen das Angebot zu unterbreiten, moralisch verantwortungsbewusst, aber ohne die Fesseln einer bald ritualisierten political correctness, ganz eigenständig, persönlich den eigenen Geist zu bemühen und sich einen eigenen Reim auf die Verbrechen wie die Faszination des Nationalsozialismus zu machen. Ich selber möchte es mit Kant halten und sie als Leserin und Leser bitten, es vielleicht ebenfalls zu tun: Aufklärung, das ist die Herausführung des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. – Womöglich vermögen Sie am Ende der Lektüre dieses Buches ein wenig nachzuvollziehen, dass ich manche der Vorwürfe, die mir zu1989 Führergeburtstag gemacht werden, so empfinde als mache man Erich Honecker die Verharmlosung des Stalinismus zum Vorwurf. In den Dimensionen der Potenziale zu einer evolutionären Veränderung einer Gesellschaftsordnung hin zu mehr Pluralismus, Partizipation und Freiheit ist für mich heute nach wie vor eine humanistische Mission, und sicher keinesfalls ein Akt der Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die zugleich eine Herrschaft über die massenhaft loyalen deutschen Volksgenossen war.

Erst 2005 erschien mit Götz Alys „Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ das erstmalige Bemühen um die Aufarbeitung der Sozialpolitik des Dritten Reiches, die unter dem Leitgedanken stand, den unglaublichen Erfolg des Nationalismus – nämlich Loyalität,Zustimmung und Operbereitschaft zu erzielen – zu erklären. Im gleichen Sinne war und ist es der Anspruch von 1989 Führergeburtstag, zum Verständnis über Hitlers Herrschaftbeizutragen, indem zutiefst politisch-moralische Fragen an eine vermeintlich „harmlose“ Weiterentwicklung dieser Diktatur angelegt werden. Die Alternative, die so oft nicht allein die deutsche Publizistik, sondern selbst die deutsche Geschichtswissenschaft geprägt hat, bestünde in der Konstruktion einer Fiktion aus dem Impuls der moralischen Verurteilung der Verbrechen von Hitlers Reich. Doch auch hier lehrt zumindest mich allein der Blick auf George Orwells Vision von 1984 aus der Perspektive von 1948, dass sich aus der globalen Lebenserfahrung des realen Jahres 1989 – und zwar an der Berliner Mauer ebenso wie auf dem Tien-an-Minh-Platz in Peking – ein ganz anderes, realistischeres Bild eines nationalsozialistischen europas zeichnen ließe. Und dabei gilt doch, dass eine solche bürokratisch-disziplinäre Diktatur an das moralische und politische Handeln, an das Gewissen eines jeden Zeitgenosse jener fiktionalen Welt ganz andere Anforderungen gestellt hätte als unsere Welt – und auch als die Vision eine George Orwells oder deren Pendant eines Terrorregimes der SS über Europa und weitere Teile der Welt.

In dieser Schrift finden Sie sehr unterschiedliche Beschäftigungen mit 1989 Führergeburtstag. Gemeinsam ist allen Kapiteln das Bemühen um eine angemessene Form der Reflexion über Hitlers Herrschaft und ihre Folgen für die Menschheit, und dann natürlich und vor allem darüber, was wir aus einer reflexiven Fiktion zu dieser Herrschaft über unsere eigene Welt zu lernen vermögen.

Roland Günter setzt sich mit dem evolutionären Humanismus als einer oft verborgenen, jedoch fundamentalen und wirkungsgeschichtlich ungemein bedeutenden Kraft der Neuzeit auseinander. Ihm danke ich für die große kulturwissenschaftliche Klammer, die zwischen meiner Fiktion einer zur Evolution fähigen nationalsozialistischen Herrschaft und den Aufgaben des 21.Jahrhunderts zur kreativen Bekämpfung von Diktaturen durch humanistische Nachhaltigkeit zu schlagen vermag.

Das Exposse sowie die Rede zur Buchpräsentation fassen meine Gedanken, Intentionen – das, was mir besonders wichtig ist an der Rezeption meiner politischen Erzählung – zusammen. Damit verbindet sich das redliche Bemühen, meinen Lesern und Zuhörern zu vermitteln, dass Unkonventionalität sehr wohl mit einer Missachtung der political correctness einhergehen mag, dass sie indes keineswegs mit mangelnder Nachdenklichkeit, mangelnder Differenzierung in der Betrachtung des historischen Nationalsozialismus und der Gefahren von Ungleichheit propagierender Intoleranz in der Gegenwart einhergehen muss.

Das Tor von Wembley – oder: die Geschichte bleibt offen! Trägt die Programmatik dieser Betrachtung unverhohlen im Titel. Es ist zu aller erst die Prozesshaftigkeit von Geschichte, die es spannend macht, sich mit ihr zu beschäftigen, nämlich sowohl wissenschaftlich als auch literarisch. Was heißt nun Prozesshaftigkeit? Nichts geschieht zufällig, sondern Entwicklungen basieren auf tief verwurzelten, oft subtilen und für die Zeitgenossen kaum wahrnehmbaren Strukturen der gesellschaftlichen Dynamik. Und zugleich ist nichts determiniert. Zwar verweisen die eben benannten Strukturen auf wahrscheinliche Entwicklungspfade, doch sowohl herausragende Personenund Gruppen als auch die Überraschungen, die aus der plötzlichen Kombination von Macht- sowie Veränderungs-Potenzialen resultieren, ermöglichen geschichtliche Verläufe außerhalb der Vorstellungskraft, welche die jeweilige Elterngeneration entfaltet haben mochte. Öffnen wir uns für diese Selbstverständlichkeit der modernen geschichtswissenschaftlichen Theorie, dann wird es sehr wohl spannend, die eine oder andere Frage an die Interpretation der Entwicklungspotenziale von Hitlers Diktatur im Falle ihres Fortbestehen über das ende des Zweiten Weltkrieges hinaus mit neuen, wiederum ungewöhnlichen Akzentsetzungen zu stellen. Offenheit dafür sowohl als Autor als auch als Leser zu zeigen, bedeutet für mich nicht einen Verlust an moralischer Basis, sondern die Bereitschaft zur Verknüpfung von Phantasie und gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein sowie nicht zuletzt die Verknüpfung mit einem Weltbild, dass dem Menschen so viel Optimismus entgegenbringt, dass es seinen Geist und sein Gewissen nicht durch den Aufruf zurFreiheit des Denkens zu überfordern oder gar sich selbst zu gefährden droht. Statt dessen steht hinter dem Appell an tabufreier und zugleich moralisch-humanistisch fundierte Reflexion Reflexion die Überzeugung, dass die mediale Kontrollgesellschaft des 21. Jahrhunderts die in ihr selbst begründeten Gefahren nur so, nicht aber durch ritualisierte Erinnerungsgefahr in den Griff zu bekommen vermag.

Die Faszination des Nationalsozialismus ist aus meinem tiefen inneren Bedürfnis entstanden, einen pointierten, mehr essayistischen denn wissenschaftlich formulierten Erklärungsansatz für den faszinierenden Erfolg des Nationalsozialismus unter den Deutschen seiner Zeit selbst beizusteuern. Ich war bestrebt, nicht mehr-hundertseitige wissenschaftliche Konvolute zu dieser für die Gegenwart so entscheidenden Frage als Verweise zu nutzen, sondern selbst einen Diskussionsbeitrag zu dieser Debatte zu leisten, der manches über meine Motivationen zum Abfassen von 1989 Führergeburtstag offenbart. Im Mittelpunkt stehen dabei keine nachträglichen Konstruktionen, sondern die elementaren weltanschaulichen Ziele des Nationalsozialismus unmittelbar! Und diese waren der Antisemitismus, der Antikommunismus gepaart mit dem radikalimperialistischen Anspruch auf eine kontinentaleuropäische Weltreichsbildung, und dann gar nicht einmal zuletzt die Vision von der Volksgemeinschaft in all ihrer dialektischen Ambivalenz aus Verführungskraft und sich verführen lassen Wollen aus gesellschaftspolitischer Indifferenz oder auch Verirrung heraus, das für die Deutschen der dreißiger Jahre so typisch war.

Es folgt der Brief an Hans Koschnick als frühes Zeugnis des Nachdenkens über den Sinn und Zweck meines ungewöhnlichen Unterfangens 1989 Führergeburtstag, aber zugleich als Ausdruck meines frühen Optimismus, das ein Werben für meine hintergründigen Motivlagen keine vergebene Liebesmüh sein müsse, falls es auf moralisch gefestigte, politisch redliche Rezeptoren trifft.

Die Frage nach dem Imperium und der medial-informationellen Kontrollgesellschaft ist ein Bruch, ein ungemein herausfordernder zumal. Greifen wir die Analyse von Negri und Hardt auf, so bedeutet imperiale Herrschaft etwas grundsätzlich anderes als Imperialismus. Denn ein Imperium beruhe nicht allein auf einem universalen Machtanspruch, sondern zugleich auf der Fähigkeit zur Herausbildung einer integrativen Kraft, einer Herrschaftsideologie, die Völker und Kulturen zur Zusammenarbeit mindestens ihrer Eliten veranlasst. Dies war beim Imperium Romanorum der Fall; es ist heute ebenso der fall bei der Ausbreitung des ursprünglich von den USA ausgehenden Konzeptes eines Weltmarktes in Verbindung mit einem ungebrochen positiven Menschenbild,wie es in der gelebten amerikanischen Verfassung zum Ausdruck kommt. Gewaltenteilung nicht allein zur Bändigung gefährlicher, machthungriger Kräfte, sondern zugleich zur Herstellung eines dynamischen Prinzips einer innergesellschaftlichen Balance of power, die zum gesellschaftlichen Fortschritt dränge, sind die Losung Amerikas. Hieran schließt das moderne Imperium der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts an, weil die intellektuelle, kreative Kraft der breiten Masse der Menschen die vorrangige Produktivkraft ausmache. Negris und Hardts Interpretation des modernen Imperiums fußt auf einer halbtausendjährigen kulturgeschichtlichen Verankerung im ungeheuer produktiven Potential des europäischen Humanismus. Dessen Entfesselung der Möglichkeiten des Einzelnen machten im Prinzip keinen halt vor einer positiven Konnotation der Kraft der Massen, die Wirklichkeit politisch und ökonomisch zu verändern. Aufklärung wird begriffen als die epochale, gelungene Domestikation des Humanismus nach Jahrhunderten aufreibendster Glaubens- und Bürgerkriege im Europa des 16 und 17. Jahrhunderts. Die Bezugnahme auf eine letzte Transzendenz, von Descartes bis Kant, habe dem geistesgeschichtlichen Erbe des Humanismus gründlich – mindestens bis Marx – das Genick gebrochen!

Und was hat das nun alles mit 1989 Führergeburtstag zu tun? Die antwort fällt mir einigermaßen leicht: fünfhundert Jahre Neuzeit stellen sich laut Negri / Hardt als das säkulare Ringen von Revolution und Gegenrevolution, Reformation und Gegenreformation dar. Im Kern geht es darum, ob ein Menschenbild vorherrscht, dass der manches Mal ungebändigten Kraft der entfesselten Masse primär die produktive Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung zubilligt, oder aber ob als realistisches Szenario einzig die Gefahren der entfesselten Diktatur – von Robespierre bis Hitler und Stalin – gesehen werden. Daher lohnt es sich, zuerst die reale Geschichte des Nationalsozialismus bis 1945 und dann selbst die Fiktion seiner Transformation bis 1989 in den Blick zu nehmen und nach der Rolle der Menge in Weltanschauung wie Praxis dieser zuerst totalitären – später womöglich eher bürokratisch- disziplinarischen – Diktatur zu fragen.

Wäre auf eine gemäßigte Diktatur Nazi-Deutschlands über Europa das Reform-Konzept Gorbatschows gefolgt, oder aber hätte der Primat der Ein-Parteien-Dominanz, ähnlich der Entwicklung in der Volksrepublik China seit 1989, die Oberhand behalten. Dem nachzugehen ist zu aller erst eine dramatische intellektuelle Herausforderung. In zweiter Instanz berührt diese Frage indes sogar die Grundlagen unseres Selbstverständnis von der abendländisch-christlichen, und ebenso humanistisch-demokratischen Kultur des Westens. Welche Ambivalenzen eine solche Zerreißprobe für eine deutscher Kultur entsprungenen Diktatur hervorgerufen hätte, vermögen wir uns kaum vorzustellen. Dass ich mich dieser Widersprüche indes bereits mit 1989 Führergeburtstag zu stellen beabsichtigte, mag insbesondere die ohne Zweifel enorm provokative Begrifflichkeit vom „humanistischen Nationalsozialismus“ als Schlagwort für das nach-totalitäre Gesellschaftsmodell einer Fiktion vom nationalsozialistischen Europa im Jahre 1989 dokumentieren.

1941 und Hitlers Blitzkrieg gegen die Sowjetunion scheitert, zur Überraschung der meisten politischen wie militärischen Experten in Europa und Amerika. Der Stopp der deutschen Offensive gegen Moskau und das Zentrum der europäischen Sowjetunion gilt als die zentrale historische Entwicklung, die im Ergebnis zum Sieg der Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg führte. So nimmt es nicht Wunder, dass die Bereitschaft, sich in 1989 Führergeburtstag auch dieser Frage fiktional zu stellen, ob und gegebenenfalls wie ein militärischer Sieg Hitlers denkbar geworden wäre, breite Kritik hervorgerufen hat. Trotzdem sehe ich viele Gründe, die auch nur noch zu dem Urteil führen, es ei richtig gewesen, sich dieser Herausforderung fiktional zu stellen. Die größte Bedeutung hat dabei die bereits zuvor dargelegte Überzeugung: Die Geschichte bleibt offen! – Sind wir bereit, uns dem damit verbundenen Verlust an vermeintlichen Gewissheiten zu stellen, so ist doch schon das Wichtigste gewonnen, um dem eigenen Anspruch an ein Mitarbeiten an einer besseren Welt einen Hauch von größerer Handlungsrelevanz zu verleihen. Zugleich vermag auch der Autor von 1989 Führergeburtstag sich gänzlich andere Verläufe des Zweiten Weltkriegs als eben den realen und auch den in der Erzählung angebotenen vorzustellen. Ich biete Ihnen an, sich auf diese Reise einer weiteren, enorm brüchigen Fiktion von militärischen Erfolgen und Misserfolgen, von Höhenflügen und Zukunftsängsten des Diktators zu begeben. Hier biete ich Ihnen eine Handlung an, die anders als in 1989 Führergeburtstag darauf verzichtet eine weitreichende strategische Fiktion anzustellen. Denn in diesem Alternativ-Szenario wird der reale Verlauf des Russland-Kriegs von 1941 zunächst garnicht verändert. Statt dessen werden aus den realen Ereignissen grundlegende Handlungen der militärischen Führung abgeleitet, die zu einem konzertierten Vorgehen der militärischen Elite des von Panzer-Armeen getragenen Blitzkrieges reichen. Rommel und Guderian gelingt es hier, Hitler von seinen tatsächlichen Entscheidungen im Verlaufe des Feldzuges abzubringen.

Da schließt sich die drängende Frage an, warum in 1989 Führergeburtstag eine so viel weitreichendere Fiktion entwickelt wird? Auf diese Frage gebe ich eine klare Antwort: die große Unwahrscheinlichkeit eines Erfolges der Hitlerschen Armeen in jenem Krieg beruht eben darauf, dass die zentrale Prämisse für die Vision in der Erzählung gerade auf dem Vermeiden des Fehlers bestand, den Feind so maßlos zu unterschätzen. Ich bin davon überzeugt, dass die auf den ersten Blick so irreale Geschichte des Jahres 1941 in 1989 Führergeburtstag am besten dazu geeignet ist, die Verblendung nicht allein der Nazi-Führung aus weltanschaulichen Gründen, sondern ebenso der militärischen Führung aus preußischen Generalen mit ihrem wilhelminisch geprägten kulturellen Überlegenheitsgefühl über Russland begreifbar werden zu lassen.

Diese Sammlung nähert sich ihrem Ende und die Betrachtung, die Reflexionsebene erreicht die Gegenwart. „Die Deutschen und ihr „Drittes Reich“ hat der Sozialpsychologe Harald Welzer 2007 einen Beitrag für die Zeitschrift – Aus Politik und Zeitgeschichte überschrieben – überschrieben. Diesen Zugang zum Thema möchte ich aufgreifen und auf mein Buch 1989 Führergeburtstag beziehen. Das hat etwas zu tun mit der oftmals immer noch gebrochenen Erinnerungskultur der Einzelnen; es hat sogarzu tun mit der weit über die deutsche Gesellschaft hinaus anzutreffenden „Sehnsucht nach dem Führer“ (Hans Jürgen Wirth) als einer Grundsequenz des Politischen in der modernen Massendemokratie.

Zum Abschluss folgt eine weitere Fiktion, die über 1989 Führergeburtstag hinausgeht. Wie würden wohl Menschen über den Autor von 1989 Führergeburtstag urteilen, die nicht nur – oder nicht einmal – das Buch gelesen haben mögen, die dafür aber über jahrzehntelange persönliche Bekanntschaft mit dem Autor ein Urteil darüber treffen wollten, ob jener Versuch der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als legitim, als moralisch redlich, als politisch verantwortbar beurteilt werden könne. Dazu stellen wir uns einfach mehr vor, nach der Veröffentlichung sei die katholische Jugendgruppe zusammen gekommen, die sich anlässlich der Kommunion im Alter des Autors von neun Jahren gebildet hatte.

Am Ende dieser Einführung bleibt die Hoffnung, dass der Leser und die Leserin am Ende des gesamten Bandes den Horizont über die Bezüge von 1989 Führergeburtstag zur realen Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts geweitet finden möge. Und dies nicht zu Lasten des Bemühens des Autors um humanistische Grundwerte und moralisch-politische Redlichkeit.

Zum Abschluss dieses Buches mit meinen, sehr persönlichen Reflexionen zu 1989 Führergeburtstag möchte ich eine Schlussbetrachtung anfügen, die nochmals zu verdeutlichen sucht, welche Intentionen, kritischen Hinterfragungen des Buches und der in ihm gewählten fiktionalen Konstrukte für den Leser nützlich sein mögen. Diesen Nutzen möchte ich daran festmachen, dass der Sinn und Zweck von 1989 Führergeburtstag über die Lektüre derpolitischen Erzählung hinaus in seiner Vielschichtigkeit deutlich werden kann.